Über Etiketten und Label

Über Etiketten und Label

Meine Zeit in Hessen, wo ich fünf Jahre wohnte, hat die Entwicklung zu meiner heutigen prozessorientierten Heilarbeit stark geprägt. Bis zu meinem Umzug dorthin arbeitete ich in Bayern als Homöopathin und Astrologin.

Dort im beschaulichen Kraftsolms habe ich im sogenannten „Schutzhaus“ gelebt und gearbeitet, ein ehemaliger Bahnhof, abgelegen mitten in der Natur.
Das Schutzhaus war die Vision meines damaligen Lebensgefährten. Es ist auch heute noch ein Ort, welcher Menschen die Möglichkeit zum Rückzug bietet, über ein Wochenende, eine Woche oder manchmal sogar über längere Zeit hinweg. In diesem Format habe ich in den Räumlichkeiten des Hauses meine Begleitung in den aktuellen Prozessen der Besucher angeboten.

Damals wusste ich noch nicht, wo mich dieser Weg hinführen würde. Es war völliges Neuland für mich, mit Menschen über ein ganzes Wochenende oder gar mehrere Tage in der Einzelarbeit zu sein.
Mein damaliger Lebensgefährte hatte bereits Erfahrung in der Prozessarbeit und ich habe in dieser Zeit viel von ihm gelernt. Unsere Verbindung und Zusammenarbeit bestand darin, dass er aus dem Bereich Coaching und ich aus dem Bereich Heilkunst arbeitete.

Immer wieder fand ich mich in Momenten wieder, in denen ich keinen Plan und keine Orientierung hatte, teilweise nicht einmal eine Beschreibung für das, was ich da gerade tat.
Das große Geschenk dieser Zeit war die Erfahrung, Hilfe und Führung außerhalb meiner eigenen Vorstellungskraft zu finden und zuzulassen. Jedes Mal, wenn meine Verzweiflung am größten war und ich innerlich kapitulierte, mir schon ausmalte, dass meine Klienten nun ihr Geld zurückfordern würden und ich zu meinem früheren Beruf als Krankenschwester zurückkehren müsse, da tauchte plötzlich eine Idee, ein Gedanke in mir auf. Wenn ich diesen Impulsen folgte, kam plötzlich Bewegung in den Prozess und die Klienten konnten in dem Moment Heilung und Lösung erfahren.

Ich konnte mir das nicht erklären. In diesen Momenten spürte ich immer nur eine große Dankbarkeit in mir. Mir war klar: Das ist ein Geschenk. Endlich fühlte ich mich da angekommen, wo ich immer sein wollte in meiner Arbeit. Mein Wunsch danach, mich in meinem Tun gesegnet zu fühlen, wurde in diesen Momenten erfüllt.

Einmal war ein Paar zur Begleitung bei uns, der Mann ein bekannter DJ aus Frankfurt, die Frau selbst Coach. Wir begleiteten das Paar in einem intensiven Prozess, in welchem die beiden an den Kern ihrer Beziehung kamen und in dem an die ganz eigenen wunden Punkte, welche bis dahin in der Beziehung noch unberührt geblieben waren. Diese Berührung geschah durch das gegenseitige Gesehen-werden in der eigenen Verletzlichkeit, frei von Bewertung.
Kurz vor der Abreise bedankte sich die Frau bei mir und sprach erstaunt über ihre neugewonnene Erkenntnis, dass wohl nicht alles ein Label brauche.
Damit traf sie ungewollt auf einen wunden Punkt bei mir. Denn ich selbst haderte immer noch sehr damit, dass ich mein Tun nicht beim Namen nennen konnte.
Somit hatte meine Arbeit auch keine Form und besaß kein Etikett, mit welchem ich für mich und meinen Weg, meine Arbeit, werben konnte.
Professionalität verband ich zu dieser Zeit damit, eine Struktur und ein Konzept für die eigene Arbeit vorweisen zu können.
So konnte ich zum damaligen Zeitpunkt das große Kompliment dieser Frau noch nicht verstehen und auch nicht annehmen. Ganz im Gegenteil: ich fühlte mich einmal mehr als Außenseiter und irgendwie nicht richtig, nicht so wie die anderen sind, wie auch ich sein sollte.

Heute begreife ich dieses Kompliment an mich und meine Arbeit. Es ist die Einfachheit und Authentizität in meiner Begleitung, welche Wirkung zeigt. Gerade die Tatsache, dass ich kein Etikett habe und somit in keine Schublade oder vorgefertigte Kategorie eingeordnet werden kann, eröffnet die Möglichkeit für mehr Spielraum in der Arbeit mit meinen Klienten.

Wenn mich heute Menschen fragen: „Was machst du eigentlich?“, dann kann ich antworten: Ich begleite Menschen in tiefen Heilungs- und Entwicklungsprozessen. Das Modell, an dem ich mich orientiere, ist das des Lebens-Alpinisten. Dieses Modell habe ich selbst entwickelt und darin steht die Erfahrung im Lebensalltag an erster Stelle.

Es ist schön, dass ich heute eine Beschreibung und ein Modell für meine Arbeit habe. Das Wunderbare ist aber, dass ich nicht daran gebunden bin:
Ich brauche keine feste Form, kein strukturiertes Konzept, für die eigene Wertschätzung meines Tuns und damit verbunden nicht die Berechtigung durch ein Modell, welches ich vorweisen kann, um mir selbst die Erlaubnis zu geben, zu arbeiten.

Ich denke, dass wir uns oft selbst mit unseren eigenen Erwartungen im Weg stehen, vor allem, wenn es darum geht, Neues im Leben zu wagen und uns mit der eigenen Kreativität zum Ausdruck zu bringen. Es sind die vorgefertigten Muster in uns, welche uns in der Vorstellung darüber halten, wie etwas sein müsste oder was es brauchen würde, um anfangen zu können oder damit arbeiten zu können, um somit die Anerkennung und den Platz in der Gesellschaft zu bekommen, welchen wir uns für uns selbst wünschen.

In unserer Gesellschaft wird meist der zweite Schritt, die Formgebung, vor dem ersten Schritt, die Formfindung, gefordert. Für mich als Lebens-Alpinist steht die Erfahrung, die Selbst- oder Formfindung, immer an erster Stelle. Es geht wortwörtlich um die „Schritte“, die ich als Alpinist gehe und erwandere, nicht um das Ziel, den Gipfel, das Ende der Route.

Es braucht immer Mut, die eigenen Erfahrung in einem Entwicklungsprozess in den Vordergrund zu stellen. Und es braucht die Zuwendung sich selbst gegenüber, wenn die Unsicherheit des „Ich weiß es noch nicht“ nach Außen sichtbar wird und man damit droht, verletzlich und angreifbar zu werden.

Sich an äußeren, vorgefertigten Konstrukten festzuhalten, gibt uns eine falsche Sicherheit und wir verlieren uns in der Illusion. Die Versuchung, uns mit anderen zu vergleichen, ist groß. Unbewusst gehen wir in die Anpassung und die Erfüllung vorgefertigter Normen.

Die Qualität eines Produktes, einer Fähigkeit, entsteht durch die Erfahrung und das Üben, das Praktizieren. Jeder Handgriff, jede Bewegung in diesem Prozess hat Wert, bringt doch jeder einzelne Schritt das Gesamtbild hervor.

2 Comments on “Über Etiketten und Label”

  1. Hallo liebe Anna,
    ich konnte mich in deinen Worten wieder finden, danke.
    Liebe Grüße Dunja

    Vielleicht kommst du ja mal wieder in die Oberpfalz auf Besuch, wäre schön dich wieder zu sehen.

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