Vom Glück, zu leben

Ein Todesfall in meinem nahen Umfeld hat mich dazu angeregt meine Gedanken zum Tod, dem Schicksal und dem Leben in diesem Blogeintrag zu teilen.

Immer wieder begegnet mir in Verbindung mit schwerer Krankheit und Schicksalsschlägen die Ein- und Zuordnung dieser Ereignisse zu „gutem“ oder „schlechtem“ Leben.

Ein Beispiel hierzu, welches schon viele Jahre zurück liegt, ist die erstaunte Aussage einer Nachbarin zum Tode einer Heilpraktiker-Kollegin aus dem Nachbardorf. Diese war in jungen Jahren an Brustkrebs verstorben.
Meine Nachbarin meinte hierzu: „Sich selbst konnte sie wohl nicht helfen“.
Zudem stellte meine damalige Nachbarin die Lebensweise der Verstorbenen in Frage und wollte darin eine mögliche Ursache für das schwere Schicksal der Kollegin festmachen.

Damals wie heute bin ich immer wieder erstaunt darüber, wie sehr wir Menschen nach einer Sicherheit und Garantie im Leben suchen, als wäre ein langes und gesundes Leben die Belohnung für das eigene Wohlverhalten.

Krankheit und frühes Sterben erleben wir hingegen oftmals als Bestrafung.

Gottgläubige und religiöse Menschen beugen sich in diesem Zusammenhang oft dem Willen Gottes und geben somit jedwede eigenmächtige Gestaltungsfähigkeit im Zusammenhang mit Gesundheit und Sterben an eine höhere Macht ab.

Als Krankenschwester, damals 27 Jahre alt, habe ich viele Menschen beim Sterben begleitet. Besonders eindrücklich war für mich die Begleitung eines 50-jährigen Mannes, der kurz vor dem Tod stand. Seine Familie besuchte ihn täglich und mein Eindruck war immer der einer zufriedenen und glücklichen Gemeinschaft, voller Freude und Glück bei jedem einzelnen Besuch, trotz des tragischen Schicksal.
Das machte mich neugierig und ich fragte den Mann, wie es ihm gelang, so entspannt und friedvoll seinem nahendem Sterben zu begegnen.
Seine Antwort war diese: „Ich habe in meinem Leben das getan, was ich tun wollte, hatte einen Beruf, welcher immer mein Traum war und habe dadurch viele schöne Orte dieser Welt gesehen. Ich liebe meine Frau und meine Kinder. Darüber bin ich sehr dankbar und kann zufrieden sterben“.
Diese Antwort hat mich sehr beeindruckt, insbesondere da ich im Gegenzug hierzu häufig 80 oder 90 Jahre alte Menschen beim Sterben begleitete, welche sehr mit ihrem Leben haderten und denen es trotz ihres höheren Alters sehr schwer fiel, zu gehen. Es berührte mich zu sehen, dass vieles in ihrem Leben nie gelöst worden war und offen bleiben musste.
Die Erkenntnis hieraus war für mich: Es ist unerheblich, wie alt ich werde. Wichtig ist, dass ich zufrieden bin mit mir und meinem Leben, egal wann ich sterbe.

Mir wurde klar: Ein zufriedenes Leben gewinne ich nicht durch Wohlverhalten. Vielmehr geht es darum, Mut zu haben, das zu Tun, was ich mir erträume und mir das zu geben, was ich für mich und mein Wohlbefinden brauche.

Dadurch wurde ich in meiner inneren Freiheit bestärkt, mit welcher ich mich gegen eine Fremdbestimmung durch eine Ideologie oder gesellschaftliche Normen stelle. Jedes Ideal empfinde ich in sich schon als eine Beschränkung, insbesondere wenn es um die Themen Ernährung oder Spiritualität geht. Schon immer habe ich mich gegen eine strikte, rigorose, „gesunde“ Lebensweise oder spirituelle Lebenshaltung gewehrt, welche mir ein langes Leben versprechen oder mich zu einem besseren Menschen machen sollen.

Ich glaube, dass wir uns mit selbstauferlegten Methoden und Herangehensweisen mit dem Ziel eines gesunden und langen Lebens immer mehr von der Lebendigkeit des Lebens abschneiden. Wir versuchen, durch die Medizin, die Naturheilkunde oder eine spirituelle Lebensweise eine Sicherheit und Lebensgarantie zu gewinnen. Doch der eigentliche Erfolg des Lebens liegt im Mut zum Wagnis und zum Risiko, meinen Träumen und Impulsen zu folgen und diese zu verwirklichen. In diesem Durchleben gewinne ich eigene Erfahrungen, welche die Grundlage meiner inneren Werte und hieraus folgender Prioritäten in meiner weiteren Lebensgestaltung stellt.

Ich persönlich habe Spaß im Ausprobieren dessen, was mir schmeckt und was mich interessiert. Wenn ich meiner Neugierde folge, dann finde ich ganz selbstverständlich heraus, was für mich gesund und stimmig ist.
Damit spreche ich nicht von Leichtsinnigkeit oder Oberflächlichkeit im Umgang mit dem eigenen Leben aus einer Haltung der Gleichgültigkeit oder Überheblichkeit heraus, sondern vielmehr von einer Lebensweise, welche als oberste Priorität dem eigenen individuellen Lebensplan folgt.

Es sollte unser Ziel werden, die Verbundenheit zur eigenen Instinktnatur wieder zu erwecken. Die damit verbundene Lebendigkeit ist die Wildnis, nach der wir uns sehnen und welche wir zugleich fürchten. Wie anfangs beschrieben, geht es im Erleben unseres „Menschseins“ vielleicht vielmehr um die Zufriedenheit im Leben, als um das Wohlverhalten hierbei.

Ich glaube, dass es unserer heutigen Gesellschaft an Demut mangelt, vor allem gegenüber unseres Körpers und der damit verbundenen eigenen Wesensnatur. Wäre die Erkenntnis in uns bereits verankert, dass das Leben sich niemals formen oder bestimmen lässt, da es wild und unberechenbar ist, dann würden wir auch nicht länger mit dem Leben verhandeln wollen, in Form von Versprechen wie: Ich ernähre mich gesund, betreibe Sport, mache es Recht und handle zum Schutz unseres Klimas.

Damit möchte ich eine gesunde und reflektierte Lebenshaltung in keiner Weise in Frage stellen. Zur Illusion wird diese jedoch, wenn ich dadurch glaube, Tod und Krankheit von mir fern halten zu können.

Das Einzige, was ich tun kann, ist heute im Hier und Jetzt zu sein und das zu tun, was gerade in diesem Moment mit mir und meinen Werten, meinen Prioritäten im Einklang ist.

Ob ich so hundert Jahre alt werde oder von schwerer Krankheit verschont bleibe, ist in letzter Konsequenz vermutlich mehr Glück und Gnade als wir denken.

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