Die versehrte Seite in uns

Vergangene Woche im Herz-Raum-Training war der verwundete, verletzte Anteil in uns das Thema. In der Astrologie zeigt sich dieser durch die Stellung in Zeichen und Haus von Chiron in unserem Horoskop. Aktuell bildet die laufende Sonne und Venus, beide im Zeichen Waage, eine Opposition zu Chiron. Merkur, welcher sich gerade noch im Zeichen Jungfrau befindet, folgt ab dem 17.10.2022. Grund genug, um uns mögliche Verhaltensmuster in Begegnung mit Chiron näher anzugucken. 

Die Planetenqualität Chiron symbolisiert die Wunde in uns, die nicht heilen kann. Also eine Einschränkung, eine Unzulänglichkeit, ein Nicht-Können, eine Behinderung, welche wir bereits mit in dieses Leben bringen und sich durch nichts lösen lässt. Jedoch tragen wir mit diesem Wesensanteil die Fähigkeit, andere damit heilend zu berühren. Wir können an dieser Stelle also anderen geben, was wir uns selbst nicht geben können. 

Eine Teilnehmerin sagte hierzu spontan: „Das ist wie mit dem sprichwörtlichen Schuster, der selbst die schlechtesten Leisten hat.“ Das finde ich spannend, denn im ersten Moment können wir nicht wissen, warum ein Mensch seine Fähigkeit geben kann und selbst hierbei vernachlässigt ist. Denn manchmal ist jemand wirklich einfach nur nachlässig mit sich selbst und ein anderes Mal kann derjenige an dieser Stelle wirklich nicht für sich sorgen. 

Am besten können wir uns das vorstellen, wenn wir eine konkrete körperliche Behinderung vor Augen haben. Stellen wir uns ein Gegenüber vor, welches nur ein Bein hat. Dieser Mensch kann vielleicht keinen Marathon laufen (natürlich schon, wenn er ein Prothese trägt), jedoch kann er andere vielleicht super im Laufen trainieren. Das setzt allerdings voraus, dass dieser mit sich selbst und seiner Behinderung grundsätzlich im Frieden ist.

Was ich damit sagen möchte, ist, wir können unser Versehrtsein nicht heilen in dem Sinne, dass es in Ordnung kommt, oder repariert werden kann, jedoch können wir lernen, dass wir für diesen Teil eine besondere Verantwortung und Fürsorge tragen. Dann entwickelt sich hieraus eine Spezialität in unserer Natur. 

In der abschließenden inneren Reise des vergangenen Trainings zeigte sich das Bild der inneren Seelentafel, in der auch der verletzte Teil in uns seinen Platz hat. Das Berührende war für mich hierbei, welche Tiefe und welches Mitgefühl  die Teilnehmenden dadurch erfahren konnten. Der Schlüssel hierzu ist, dass alle anderen Wesensanteile auf den verletzten Anteil liebevoll, wertschätzend und fürsorgend gucken. Dann passiert ein tiefer Wandlungsprozess, in welchem es plötzlich möglich wird, aufrecht und ebenbürtig zu sein, trotz der Einschränkung in der eigenen Natur an dieser Stelle. 

Dies hat mich motiviert diesen Blogeintrag zu schreiben, da ich glaube, dass das in vielen von uns ein großes Thema ist: Dem versehrten Teil in uns Respekt und Würde zurück zu geben. Mit Würde meine ich, dass es Größe zeigt, wenn wir um etwas bitten können. Und dass wir Respekt bekommen, wenn wir uns unterstützen lassen. Allerdings ist die gesellschaftliche Prägung meist genau anders. Wir lernen früh, dass wir den Anteil in uns, der nicht so funktioniert, wie er sollte und wie es von ihm erwartet wird, zu verstecken. Er wird als Schwäche angesehen oder als das Hässliche. 

Hab ich vermeintlich hässliche Füße, dann lerne ich, sie in hübschen Schuhen oder Socken zu verpacken. Tue ich mich schwer, den Worten anderer zu folgen, dann lerne ich, wie ich das kompensieren kann, indem ich mir vielleicht Phrasen zulege.

Meist werden wir nicht dazu ermutigt, zu fragen oder um Hilfe zu bitten und uns dem zu öffnen, dass es Dinge gibt, die wir schlicht und ergreifend nicht ohne die Unterstützung unseres Umfeldes tun können. 

Bei mir selbst ist es zum Beispiel so, dass ich bei anderen die Schönheit und ihre Fähigkeiten sofort erkennen kann. Bei mir selbst hab ich an dieser Stelle ein gebrochenes Spiegelbild. Hier brauche ich Menschen, die mir helfen mein Bild zu sehen, trotz der Bruchstellen, immer wieder neu. Meine Erfahrungen waren hier stets, dass manche Menschen mein Fragen und mein Orientierungslos-Sein immer wieder dazu benutzt haben, um mich in ihre gewünschte Richtung zu verbiegen. Oder mir bewusst an dieser Stelle Steine in den Weg gelegt haben, aus Angst von mir Verlassen zu werden. Die Lösung war für mich, mir bewusst zu werden, dass es kein Makel ist, im ersten Schritt orientierungslos und aufgelöst zu sein. Es brauchte mein Mitgefühl und mein Einwilligen in diese schutzlose und leicht angreifbare Seite. Heute habe ich einen guten Draht zu meinem Bauchgefühl und checke in Begegnung immer wieder neu, was ich gerade wahrnehme und fühle und zeige mich damit. Nur so kann ich mich der Hilfe und Unterstützung öffnen und bin zugleich wachsam. 

Kennst du solche Geschichten? Wo verwehrst du dir die Hilfe und Unterstützung durch dein Umfeld aus Angst vor alten Verletzungen? Kennst du das gebrannte Kind in dir? Wie sieht dein verletzter Anteil aus? Wo und wann zeigt sich die Hilflosigkeit in dir über deine Unzulänglichkeit? 

Immer wieder frage ich mich, was wohl anders wäre, wenn wir von klein auf wertschätzend auf unsere „Behinderung“ gucken. Ich glaube, dass wir dadurch eine gesunde Einordnung unserer selbst bekommen könnten. Dass genau das Gegenteil davon passieren würde, was wir fürchten. Dass unser Umfeld unsere Schwächen und unsere Hilflosigkeit nur solange missbraucht und ausnutzt, wie wir selbst uns ablehnen und hierfür schämen. Wenn wir lernen, den Defekt ebenbürtig zu sehen im Vergleich zu dem, was reibungslos in uns funktioniert, dann beginnen wir zu integrieren. Das schafft aus meinem Verständnis heraus eine gesunde Basis für wirkliche Nächstenliebe. Dann müssen wir nicht länger vor einem tiefen Berührt-Sein weglaufen, wenn wir sehen, wenn unser Gegenüber gerade hilflos ist und an dieser Stelle nicht heilen kann. Vielleicht begreifen wir dann, dass wir alle eine ungeschützte, offene Wunde tragen. Und wie wunderbar wäre es, wenn wir es zuließen, dass wir uns gegenseitig hierbei immer wieder aushelfen können. 

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