Über Einfachheit

„Einfachheit“ ist eine große Sehnsucht und zugleich ein großes Tabu in unserer Gesellschaft. Wenn es um das „einfach sein“, das Ankommen bei uns selbst geht, dann gilt dies als ein hohes Ziel, welches erstrebenswert ist. Ebenso ist es Mode geworden, dass wir uns im „weniger ist mehr“ etablieren. Doch wie ist es, wenn wir aus gegebenen Umständen auf die Einfachheit, sowohl im Innen als auch im Außen, zurückgeworfen werden?

Wir leben mit dem Privileg, frei wählen und uns zur Einfachheit aus unserem freien Willen heraus entschließen zu können. Unser Wohlstand, aus welchem wir eine satte innere Haltung genießen, lässt uns die Genügsamkeit in der Blase eines goldenen Käfigs erleben. Damit meine ich die Haltung, dass wir es uns leisten können nichts zu wollen, da wir jederzeit haben können. Dass wir es uns leisten können die innere Auszeit zu nehmen, da der Existenzkampf nicht den Alltag bestimmt.

Unser Wohlstand aufgrund von Kapitalismus steht gerade auf der Kippe, und obwohl ich persönlich schon immer „einfach“ lebe, kann auch ich den Unterschied deutlich wahrnehmen zwischen meinem freien Wählen der Genügsamkeit und dem, keine andere Wahl zu haben.

Wenn wir uns beim Einkauf vor dem vollen Gemüseregal für die regionalen Waren entscheiden, dann sind wir frei im eigenen Wählen. Wenn es keine anderen Lebensmittel mehr gibt als das, was aufgrund mangelnder Lieferketten vor Ort produziert werden kann, dann fühlen wir uns fremdbestimmt von den Gegebenheiten.

Wenn wir mit einem vollen Bankkonto im Rücken einen lukrativen Auftrag ausschlagen, da er nicht unseren Werten entspricht, dann ist es ein Luxus, den wir genießen. Wenn wir mit einem leeren Bankkonto, jedoch mit den gleichen Motiven, den Auftrag ausschlagen, dann müssen wir uns vielleicht der Kritik stellen nicht geschäftstüchtig zu sein.

Wenn wir der Umwelt zuliebe auf Urlaubsreisen verzichten, wählen wir aus der inneren Freiheit heraus. Wenn keine Urlaubsreisen möglich sind, fühlen wir uns der Bewegungsfreiheit beraubt.

Wir haben uns so sehr an unseren Status Quo und den Luxus gewöhnt, dass wir ihn für ein Privileg halten, welcher uns zusteht und für den es gilt, einzustehen.

Wir wollen die Einfachheit hübsch verpackt und so wie sie uns gefällt. Bei der gebuchten Visionssuche wählen wir bewusst die Grenzerfahrung und liefern uns freien Willens der Entbehrung und dem Nichts aus. Im Urlaub suchen wir die Einfachheit in fremden Kulturen und empfinden diese als Oase der Kraft. Doch wenn wir im Alltag damit konfrontiert werden, Entbehrungen auf uns nehmen zu müssen, dann empfinden wir das als Zumutung und lehnen die Einfachheit ab.

Es ist leicht, sich selbst zu sein und sich selbst zu finden, wenn wir frei von Existenznot sind. Die wahre Kunst der Genügsamkeit liegt jedoch in der Demut den Gegebenheiten gegenüber. Der Schlüssel zur inneren Freiheit ist das Lassen, nicht das Wollen. Es ist die Gleichgültigkeit des Lebens, welcher wir uns stellen müssen, um die Einfachheit zu erfahren, nach der wir uns alle sehnen.

Vielleicht fühlst du es gerade, wenn du das liest: Die Sinnlosigkeit und die Ohnmacht, welche im ersten Moment auftauchen, wenn du dich dieser Haltung öffnest.

Auf meinem eigenen Weg und in der Begleitung von Menschen habe ich die Erfahrung gemacht, dass wir uns im Angesicht dieser Erkenntnis der inneren Armut und den damit verbundenen Mangelthemen stellen müssen.

In diesem Moment zeigt sich, ob wir genügsam sein können mit dem, was gerade da ist, oder ob wir noch in einer Blase von Einfachheit leben, ermöglicht durch die Freiheit unseres Wohlstandes.

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