Über lineares vs. zyklisches Denken

Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg: das stimmt grundsätzlich. Doch wie hoch ist der Preis, den wir dafür zahlen?

Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Stärke zeigen bedeutet, die eigenen Grenzen zu überwinden. Aus meiner Sicht zeigen wir Stärke, wenn wir die eigenen Grenzen respektieren. Damit meine ich nicht Selbstaufgabe oder das Hinnehmen von Gegebenheiten.
Ich spreche von Akzeptanz und Würdigung unserer Selbst im Moment einer Grenzerfahrung. Die wichtigen Fragen, die wir uns stellen sollten, sind an dieser Stelle nicht: Wie komme ich an mein Ziel? Was habe ich falsch gemacht? Warum kann ich das nicht?
Diese Fragen entsprechen dem linearen Denken, mit welchem wir schnellstmöglich und ohne Umwege ein Ziel erreichen wollen, mit einem klaren Konzept und einer guten Strategie im Gepäck.

Auf eine Grenze zu stoßen bedeutet aus meiner Sicht die Chance zur Überprüfung der eigenen Ressourcen, um so einen Blick auf die Nachhaltigkeit des eigenen Tuns zu gewinnen und die weiteren Schritte dem eigenen Rhythmus entsprechend planen zu können. Wir sollten uns dann Fragen stellen wie: Was habe ich übersehen? Was braucht es gerade? Woran halte ich fest?
Diese Fragen entsprechen dem zyklischen Denken, also einem Denken in Kreisläufen. Hier sind wir uns der Vergänglichkeit unseres Handelns bewusst und verpflichten uns dem stetig kreativen Fluss des eigenen Potenzials.

Wenn ich Menschen dazu ermutige, sich dieser Sichtweise zu öffnen, begegnen mir oft Zweifel, Ohnmacht und Ungeduld. Die größte Angst hierbei ist die, dass etwas weggenommen wird, dass man dem gewählten Weg nicht folgen darf, dass wieder einmal alles umsonst war. Diesen Befürchtungen liegt die Flucht vor der Auseinandersetzung mit der eigenen Enttäuschung zugrunde. Wir argwöhnen, von unserer Natur, unserem Potenzial enttäuscht zu werden, wenn wir loslassen und uns dem eigenen Rhythmus, dem eigenen natürlichen Kreislauf öffnen.

Klar, wir wollen das eigene Potenzial leben, wir wollen im Flow sein, doch wir wollen auch den eigenen Erwartungen und den eigenen Vorstellungen entsprechen. Alles was unser eigenes Selbstbild bedroht wird erst einmal abgelehnt und wir fühlen die nackte Existenzangst.

Meist spulen wir uns in eine Vorstellung von „Flow“: wenn die Dinge so laufen, wie wir sie uns vorgestellt haben, dann denken wir, alles ist gut und wir sind auf dem richtigen Weg. Doch oftmals befinden wir uns nur auf der vorgefertigten Autobahn der eigenen Idee, geführt vom linearen Denken. Fühlbar wird dies durch ein nagendes Gefühl der Unzufriedenheit, trotz all der Erfolge, und einer schleichend wachsenden inneren Müdigkeit.

Wenn die Dinge nicht so laufen, sich nicht so anfühlen, wie wir sie uns vorgestellt haben, dann sind wir schnell im Misstrauen und in der Selbstentwertung. Es ist in solchen Momenten ausserhalb unserer Vorstellung, dass dies „im Flow sein“ bedeuten könnte.
Dann ist es wieder da, dieses würdelose, tief verankerte Gefühl, der Gewalt des Lebens, der Bestimmung in der eigenen Natur ausgeliefert zu sein und dieser nicht zu entkommen. Wir empfinden es als Niederlage, uns dies eingestehen müssen und es fällt uns schwer, das Geschenk in all dem zu sehen und es in die Hand zu nehmen. Meist erscheint der Gedanke, dass genau hier an dieser Stelle das eigene Abenteuer beginnt, als absurd und realitätsfern.

Ein interessanter Ansatz ist in solchen Momenten die Frage: Will ich weiterhin meinen logischen Verstand benutzen, um an mir und meiner angelegten Natur vorbeizukommen (lineares Denken), oder will ich meinen Verstand nutzen, um konzentriert im Jetzt zu bleiben und die Entfaltung meines Potenzials geschehen zu lassen (zyklisches Denken)?

Wenn wir beginnen, uns dem Denken in Kreisläufen anzuvertrauen, dann spüren wir, dass es nicht mehr länger darum geht, etwas zu erreichen oder irgendwo ankommen zu müssen. Wir fühlen die Sicherheit im sich ständig wiederholenden kreativen Prozess von Inspiration, Gestaltung und Loslassen.

Eine Grenze nehmen wir dann nicht mehr wahr als etwas, das überwunden werden muss oder uns zurückwirft, sondern als Aufforderung dazu, dem eigenen Potenzial das Ruder zu überlassen. Damit willigen wir ein in den Rhythmus der eigenen Wesensnatur, auch auf die Gefahr hin, dass bisherige Vorstellungen und Sicherheiten enttäuscht werden.

Ich bin überzeugt davon, dass wir uns mit der Realität aussöhnen müssen, immer nur das werden zu können, was wir sind. Es liegt in unserer Verantwortung, dies zur Entfaltung zu bringen. Dann brauchen wir nicht länger am alten Schmerz festhalten, dass die Natur uns mit ihrem ewigen Kreislauf unterjochen möchte.

Jedoch nehmen wir in dem auch die Sinnlosigkeit des menschlichen linearen Strebens wahr und vielleicht gelingt es uns dann, mehr und mehr die Freude und die Leichtigkeit zulassen zu können, welche im stetigen Flow des zyklischen Denkens liegt.

2 Comments on “Über lineares vs. zyklisches Denken”

  1. Toller Blog und gut, verständlich erklärt, liebe Anna. Vielen Dank!

    Bei der Floskel „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ stelle ich mir mittlerweile die Frage, ob ich DAS wirklich will bzw WAS ICH wirklich oder ob es vielleicht andere von mir wollen.

    Wenn tatsächlich ich das wirklich will, dann finde ich den eigenen Weg – manchmal mit etwas mehr Geduld und auf Umwegen – getreu dem Motto „Die Reise ist das Ziel.“ ?

    Liebe und Licht für alle
    Bia ?

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